Sprachliches Handel ist soziales Handeln

Veröffentlicht von Eva Fellerer am Jun 18 2018
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"Sprachliches Handeln ist soziales Handeln" - Dieser Satz beschreibt etwas, das mich in meiner Arbeit als GFK-Trainerin begleitet: Mit Sprache bestätigen oder erschaffen wir Denkmuster. Und Denkmuster bahnen den Weg für gelebte Realität. Auf diese Art können veränderte Sprachgewohnheiten sozialen Wandel unterstützen.

Es lohnt sich also, Sprachgewohnheiten ins Bewusstsein zu rufen und dahingehend zu verändern, dass sie besser die Wirklichkeit abbilden, in der wir leben wollen.

 

Genau das erlebe ich in der GFK. Gründend in einer tiefen spirituellen Dimension des Friedens und der Fülle, nutzt sie einfache sprachliche Mittel, um einen Bewusstseinswandel zu unterstützen: Authentischer Ausdruck von Gefühlen ( z.B. unsicher ) anstelle von versteckten Beschuldigungen ( z.B. ungerecht behandelt). Oder die Platzierung des Wörtchens „weil“: „Weil du ... tust, bin ich ....“ wird ersetzt durch „Ich bin .... weil ich .... brauche“.

Von einer Sprache des Herrschens und Beherrscht-werdens hin zu einer Sprache der Wertschätzung, der Eigenverantwortung, des Mitgefühls.

Mit Leidenschaft arbeite ich daran, dies Menschen zu vermitteln und selber umzusetzen.

 

Nun bin ich nicht nur Trainerin für GFK, ich bin auch Frau, Lesbe, und obendrein eine Frau mit Bart. Meine inneren Wurzeln habe ich sowohl in der Spiritualität der GFK als auch in der Spiritualität der Frauen- und Lesbenbewegung . Mein außergewöhnliches Aussehen als Frau mit Bart führt mich immer wieder zu Auseinandersetzung mit Rollenbildern und Geschlechtsidentität.

Dies ist mein persönlicher Hintergrund, der meine Wahrnehmung beeinflusst und mich diesen Artikel schreiben lässt. Denn als Frau erlebe ich in GFK-Zusammenhängen manches Mal einen Sprachgebrauch, der mich schmerzt.

 

Das Deutsche als Männersprache und die GFK 1

 

Da gibt es eine wunderbar informative Homepage www.trainer-kongress-gfk.de . Ein Seminar wirbt mit der Frage:„Was sind die Erfolgsfaktoren gut gebuchter Trainer?“ In einem ausschließlich von Frauen besuchten Seminar höre ich die Leiterin sagen: „Jeder wendet sich jetzt bitte seinem Nachbarn zu ...“

Verwirrung in meinem Kopf: Ist ein Trainerkongress auch für mich als Frau? Sind nicht auch Trainerinnen gut gebucht? ... Und wie wäre es, eine Gruppe von Männern aufzufordern: „Jede wendet sich jetzt bitte ihrer Nachbarin zu ...“ ?

Das Deutsche als „Männersprache“ findet sowohl gesprochen als auch schriftlich in der GFK-Szene mehr Verwendung als mir lieb ist. Auch bei Menschen, die ich sehr schätze, als Person, als Lehrende, in ihrer Art, sich für GFK einzusetzen.

 

Ich bin unglücklich damit und frage mich: Was hindert die Menschen daran, Frauen und Männer gleichermaßen in Sprache sichtbar werden zu lassen?

Dazu habe ich einiges zusammengetragen:

Gewohnheit sowie der Wunsch nach Einfachheit und Effektivität. Hineinpassen-wollen in ein bestimmtes Umfeld. Ein Unwohlsein damit, das eigene Sprechen zu sehr zu verändern, das ja auch Spiegel der eigenen Identität ist. Widerstand dagegen, sich neuen Regeln zu unterwerfen.

Oft gibt es kein Bewusstsein darüber, weshalb es wichtig sein könnte. Und damit eine Vision, für die es sich lohnt, diese Sprachgewohnheit zu verändern. Oder es fehlen Ideen, die gleichermaßen sprachliche Geschmeidigkeit erfüllen und auch noch Spaß machen.

Und überhaupt: Frauen sind im Deutschen doch mitgemeint in der Form des Männlichen?

 

Wirklich? Zeit, das zu überprüfen.

 

Sprache hat Auswirkung auf unsere Sicht der Wirklichkeit

 

Was für ein Bild taucht vor Ihrem geistigen Auge auf, wenn Sie „ ein Trainer“ oder „ein Teilnehmer“ hören? Eher das Bild eines Mannes oder einer Frau? Und wie ist es bei „ die Jugendlichen“ oder „Fachleute aus aller Welt“? Sie würden zu einer deutlichen Minderheit gehören, wenn Sie dabei spontan eine gemischte Gruppe vor sich sehen oder gar eine Gruppe von Frauen.

Ein Wort wie „Trainer“ ruft bei den meisten Menschen eher das innere Bild eines Mannes auf, als das einer Frau oder eines geschlechtsneutralen Menschen. 2

Und es verschleiert die inneren Bilder der sprechenden Person.

 

„Ich fühle mich mitgemeint“ höre ich schon Kolleginnen und Freundinnen sagen.

Womöglich stimmt diese Einschätzung. Hin und wieder.

Und da erwacht die Rebellin in mir : Mitgemeint-sein reicht mir nicht.

Ich wünsche mir Genannt-sein, Sichtbar-Sein, der Erwähnung wert zu sein.

Ich wünsche mir Menschen, die daran mitwirken, einen gesellschaftlichen Raum der Wertschätzung und des Respekts Frauen gegenüber neu zu etablieren. Auch durch Sprache.

 

Und wieder die Stimme von Skeptikern und Skeptikerinnen: Brauchen wir das wirklich? Gibt es nicht wichtigeres?

 

Ein Blick auf die bestehende Realität

 

Die Geschichte unserer heutigen Kultur ist auch eine ca. 6000 jährige Geschichte der Abwertung weiblicher Macht und weiblichen Seins. Partnerschaftlich orientierte, friedfertige Kulturen aus den Anfängen menschlicher Sesshaftwerdung ( ab ca. 8000 v.u.Z.)wurden fast überall auf der Welt gewaltsam durch eine Dominanzkultur zerstört, die ihre Macht der Kriegführung und der Herrschaft von Männern über Frauen verdankt. 3

Wir heute sind die Erben und Erbinnen dieses Geschehens.

 

Im Jahr 2015 bedeutet weiblich zu sein erhöhte Armut und Gefährdung: Siebzig Prozent der Menschen in Not sind Frauen. Sie leiden unter unzureichender Gesundheitsversorgung, niedriger Bildung und Gewalt.

Wobei Gewalt auch sprachlich von sehr subtilen bis zu offensichtlichen Formen reicht: Vom anerkennend gemeinten Satz über ein Mädchen „An ihr ist ein Junge verloren gegangen“ , bis zu einem indischen Spruch, der rät „Schlage ... eine Frau jeden zweiten Tag“ gibt es eine große Spannbreite.

Und es bleibt nicht bei Sprüchen.

Weltweit wird alle fünfzehn Sekunden eine Frau verprügelt. Frauen werden in Kriegsgebieten systematisch durch Soldaten brutal vergewaltigt. Ihr Risiko, Opfer eines Überfalls zu werden, ist siebenmal höher als das von Männern. Aus jeder fünften Ehe berichten Frauen über körperliche oder sexuelle Misshandlungen durch den Ehemann, auch in Deutschland.

Frauen als die eine Hälfte der Menschheit leisten zwei Drittel aller notwendigen gesellschaftlichen Arbeit, doch ihr Anteil am Welteinkommen beträgt ein Zehntel.

Frauen besitzen nur ein Prozent aller Güter. 70 Prozent der Kinder, die keine Schule besuchen, sind Mädchen.... 4

Alle großen Weltreligionen, selbst wenn sie im Kern anders gemeint sind, verweigern Frauen die volle Teilhabe an spiritueller Unterweisung, Ämtern und Lehre. ...

Geringschätzung und Unterdrückung von Frauen und allem, was Weiblichkeit zugeordnet wird, sind kulturell akzeptabel, erwünscht oder sogar gefordert.

 

 

Und was macht das mit mir?

 

Es ist unglaublich schmerzlich für mich, in so einer Welt zu leben.

Und die Verwendung männlicher Sprachformen erinnern mich daran, dass es so ist, und dass dieser Zustand noch andauert, während mein Herz vor Sehnsucht brennt nach einer Welt, in der Frauen in Schönheit, Würde und Sicherheit leben können.

 

Oft fürchte ich, mein Zorn, meine manchmal starke emotionale Reaktion an der Stelle, die mir sogar das Schreiben schwer macht, kommt anderen übertrieben vor und ich verliere Respekt und Zugehörigkeit. Und gleichzeitig spüre ich es ganz genau: Mein Entsetzen und meine Verletztheit an diesem sowohl persönlichen als auch kollektiven Ort ist Wirklichkeit und durchaus angemessen.
 

Lässt es sich gleichzeitig erahnen , welche tief empfundene Freude es bedeuten kann, als Frau genannt und sichtbar zu sein? Welche Hoffnung es nähren kann auf Veränderung und Wandel? Dieses innere freudige Aufleuchten, manchmal auch tiefe Entspannen teile ich mit vielen Frauen. Es ist im Grunde so einfach. In einem Text braucht nur etwas zu stehen wie „Trainerinnen und Trainer“ , „ die eine oder der andere “ ....

Und um es mal zu erwähnen, auch diese Freude erlebe ich im GFK-Kontext.

 

 

Und da bin ich wieder bei Sprache:

Sprache konserviert die Einstellungen der Zeit, in der sie entstanden ist.

Wolfsprache ermöglicht und festigt Hierarchie, männliche Sprache ermöglicht und festigt Hierarchie von Männern über Frauen.

Wie könnten wir da sagen: Ist doch egal, ich meine doch Menschen allgemein?

Vom Bibelspruch „die Frau sei dem Manne untertan“ hin zu „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“? Nein, da gehe ich nicht mit! Ich will woanders hin.

 

Eine weite Vision

 

Gewaltfreie Kommunikation ebnet den Weg zu erleben, dass wir alle als menschliche Wesen die gleichen Bedürfnisse teilen und uns darin vorbehaltlos begegnen können. In diese tiefe Verbundenheit eintauchen zu können, erfüllt mich mit großer Dankbarkeit, Hoffnung und Frieden.

 

Doch damit werden nicht die geschichtlich gemachten Geschlechterrollen, die Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten aufgrund von Geschlechtszugehörigkeit unwirklich. Sie existieren weiter.

Weiblichkeit oder Männlichkeit 5 wirkt sich darauf aus, wie andere Menschen uns wahrnehmen, welche Rollenbilder wir erfüllen sollten und welche (Über)Lebenschancen uns offen stehen. Es ist eben nicht gleich, wer wir sind.

 

Und so lebt in mir der Wunsch, an einem sozialen Wandel mitzuwirken, der auch Wertschätzung und Respekt für Weiblichkeit stärken will, und der die Würde und die Sicherheit von Frauen mit im Blick hat. Ich bin mir sicher, anders wird ein Wandel hin zu einer gewaltlosen Welt gar nicht stattfinden.

 

Mehr noch: Ich träume von einem weiten sozialen Raum, in dem Menschen sich als geschlechtliche Wesen frei entfalten können, so dass sie die Energie leben können, die ihre eigene, ihre persönliche Energie ist in diesem Menschenleben. So wie sie ist. Frei vom gesellschaftlichen Korsett weiblich oder männlich 5, frei erst recht von Dominanzstrukturen darin.

 

Ich bin aufgeregt bei der Vorstellung, es entsteht eine Welt, in der jeder Mensch, jede Frau sicher und in voller Würde leben kann.

Und mein Herz schwingt voller Kraft und Sehnsucht bei der Idee, in einer Welt der befreiten Geschlechtlichkeit in voller Würde als Frau zu leben. Genau das ist meine Vision.

 

Diesen Text schreibe ich in der Absicht, einen Impuls in diese Richtung zu setzen.

 

.

Womit also beginnen?

 

Was also tun?

Frauen sprachlich sichtbar zu machen, erscheint mir ein lohnender Anfang.

Und hier geh ich ganz mit Marshall: Tu alles, was du tust mit der Freude eines Kindes, das die Enten füttert. 6

Spiele! Probiere es aus: fünf Minuten ausschließlich die weibliche Form gebrauchen – und beobachte: Wie fühlt es sich als Mann an, so mitgemeint zu sein? Wie fühlt es sich an, Männer auf diese Art mitzumeinen? Und wie, wenn es 20 Minuten geschieht, einen ganzen Tag lang ... ?

Wechsle ab in deinem Ausdruck, mal die männliche Form, mal die weibliche.

Schenke deinen eigenen Assoziationen Aufmerksamkeit: Bei der Sprache, die du benutzt oder die du hörst, welche Assoziationen sind in dir? Frauen? Männer? Beides?

Holpere und stolpere auch mal ungelenk durch Sprache, während du versuchst, Frauen sichtbar zu machen. Stöhne drüber, wenn du magst. Nimm dir Zeit, genau auszudrücken, was du meinst. Erweitere deine Sprachgewohnheiten um Ausdrücke wie „Teilnehmende“ , „Alle“, „die eine oder der andere“ usw. Erwähne deine Absicht, Frauen sichtbar zu machen, zu Beginn eines Seminars. Und weshalb du dabei tust, was du tust.

Verbinde dich immer wieder neu mit deiner Entscheidung, an einer neuen Erde auch in dieser Hinsicht mitzuarbeiten. Vergiss die Idee, es könnte tatsächlich die optimale geschlechtergerechte Sprache geben oder du könntest perfekt darin sein.

Sie-finde Sprache neu!

 

 

 

Nachbemerkung:

In das GFK-Modell, das M.B. Rosenberg entwickelt und bekannt gemacht hat, sind auch bedeutende Impulse von Frauen eingeflossen, z.B. durch Vicki Legion, Uta Simons, Annie Muller, seine zweite Ehefrau Gloria. 7

st

 

 

1 gefunden habe ich diese Bezeichnung z.B. im Titel „Das Deutsche als Männersprache“,

Luise F. Pusch , edition suhrkamp

 

 

2 hier fand ich Unterstützung in den Formulierungen bei „Gender und Sprache oder gibt es

nichts wichtigeres?“, ein Beitrag von Ursula Richard im Heft „Gender“ der Zeitschrift

Buddhismus aktuell, S.33

 

 

3 erste Anfänge um 9000, Hochblüte z.B. in Catal Hüyük 6250 – 5400 v.u.Z.

nachzulesen bei Riane Eisler: Kelch und Schwert, Unsere Geschichte, unsere Zukunft,

Arbor Verlag

 

 

4 Dies ist eine Zusammenstellung aus Internetrecherchen. Einfach „Gewalt gegen Frauen“

oder ähnliches in die Suchmaschine eingeben, und ihr findet diese und viele weitere Daten.

Da ich selber vieles sogar beim Schreiben verstörend empfinde, habe ich einiges wieder

aus dem Text entfernt.

Statistische Erhebungen als eine Form der Amtssprache erleichtern persönliche Distanz

und somit Schutz vor Triggern.

 

5

5 Transsexuelle- / Transgender-Identität / Sexuelle Orientierung:

Wir leben in einer Kultur, die geschlechtlich verletzte Wesen hervorbringt: In unseren

Bildern von Weiblichkeit und Männlichkeit, in unseren Bezügen zum eigenen Geschlecht

genauso wie zum anderen. Wir halten starre Vorstellungen von Zweigeschlechtlichkeit für

normal ebenso wie bestimmte Ideen, wie die beiden konstruierten Geschlechter zusammen

gehören.

Mein nächster Beitrag wird all den Menschen gewidmet sein, die außerhalb dieser Norm

leben.

 

6 Zitat von M.B. Rosenberg. Heiterkeit und Entspannung lassen mich hier zum „Du“

wechseln.

 

7 Dank an Al Weckert, bei dem ich dies nachlesen konnte : Die Feminisierung des

GFK-Modells, zu finden auf www.empathie.com

 

Zuletzt geändert am: Jun 18 2018 um 4:00 PM

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